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Filmgeräusch - Wahrnehmungsfelder eines Mediums
Frieder Butzmann / Jean Martin Im Gegensatz zur Musik und Semantik der Dialoge (Narration) wurden Geräusche lange in der Filmwahrnehmung als selbstverständlich hingenommen, gleichsam als Anhängsel der Bilder und einer Analyse als nicht würdig erachtet. Doch die Geschichte der Musik und verwandter Kunstformen wie dem Hörspiel, der Radiokunst, Klangkunst und natürlich des Films im 20. Jahrhundert selbst hat gezeigt, wie Geräusche von Künstlern immer wichtiger genommen wurden. Man kann geradezu von einer Emanzipation der Geräusche sprechen. Diese neue Ästhetik und die rasch sich entwickelnde Tontechnologie fanden auch im Film ein reiches, neues Wirkungsfeld. Die Methodik unserer Betrachtung ist perspektivisch, d.h. je nach Blickpunkt kann dasselbe Phänomen unterschiedliche Bedeutungen gewinnen. Oder umgekehrt kann sich eine Metaphorik in unterschiedlichen Filmkontexten ganz verschieden entfalten. Wenn in Kapitel III vom Evokativen Geräusch des Regens gesprochen wird, geht es um einen allgemeinen Regen, der in verschiedenen Kontexten wieder auftauchen kann. Ein zentrales Thema des Buches ist die Wahrnehmung von Filmen. Der zusammengesetzte Begriff "Filmgeräusch", geliehen aus dem Medium der bewegten Bilder (Film) und der akustischen Welt (Geräusch) steht für die gegenseitige Durchdringung der beiden Medien im Zeitfluss. Dieser Prozess ist komplex und oszilliert in einem Wahrnehmungsfeld, das sich aus bewegten Bildern, Geräuschen und Klängen, der Narration und dem Zuschauer mitsamt dessen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund sowie seiner Medienkompetenz aufspannt. Das Wahrnehmungsfeld ist nicht fest umgrenzt. Das wird schon deutlich beim wiederholten Betrachten des selben Films. Einem solchen Feld ist nicht durch Zerlegung in Bild- und Tonschnipsel oder gar Exegese des Drehbuches beizukommen. Der Film ist nicht die Summe aus Tönen und Bildern, sondern ein nicht vollends zu entwirrendes Geflecht aus inhaltlichen, formalen Bezügen und den emotionalen Reaktionen des Zuschauers. In Kapitel I wird von der Musik ausgehend das Zusammenspiel mit der Akustik des Raumes und ihrer in verschiedenen historischen Situationen aufgetretenen Tendenz zur Einbeziehung des Lichts, der Farbe, des Visuellen und Bildnerischen aufgezeigt. Und der Blick wird auf die Geschichte des Geräuschs als Teil grenzüberschreitender Phänomene wie Hörspiel, Audio Art, Klanginstallation oder zeitgenössische Gebrauchsmusik, Werbung, Sound Design gerichtet. Nicht vergessen wird ein Blick auf die ästhetische und technologische Filmtonhistorie. Kapitel II versucht den Begriff Wahrnehmungsfeld zu verdeutlichen. Bewegte Bilder färben die begleitenden Geräusche, und anders herum verleihen Klänge und Geräusche dem sichtbaren Raum eine gewisse Tönung. Ein Geräusch bekommt außerordentliche Bedeutung für den Seherhörer durch die Story; Sound Designer platzieren Geräusche auf kreative Weise im virtuellen Bildraum des Films und erzeugen dadurch immersive Atmosphären, in denen die Bilder gleichsam schwimmen. Technisch wird dies großteils durch Surround Sound in 5.1 Kanälen sinnlich umgesetzt. Dennoch hört ein Zuschauer mit visuellen Wahrnehmungspräferenzen anders als ein aufs Hören konditionierter Musiker. Ein Geräusch wird erst durch die Wahrnehmung in der Kombination mit bewegten Bildern künstlich oder metaphorisch. In dieser komplexen Erörterung wird auch das Denken der Filmtontheoretiker Michel Chion und Walter Murch vorgestellt. Ihre Einsichten - in Deutschland weitgehend unbekannt - sind in Frankreich und im englischen Sprachraum Teil eines reichen Diskurses über Filmton und Musik. Kapitel III erörtert in akribischen Einzelanalysen das Zusammenwirken von Ton und bewegten Bildern, gleichsam um die verallgemeinerten Einsichten konkret an Beispielen zu testen. Dabei entstehen neue theoretische Begriffe: das Evokative Geräusch, eine Theorie des Geräuschanimismus, komischer und fremder Klang, Engelgeräusche, „wahrer“ oder dokumentarischer Ton, Rauschen. Es wird der Blick auf das große Kino, das in unsere Kulturgeschichte eingegangen ist, gerichtet. Der allgemeine Hintergrundklang, die Atmo, die Übergänge von Geräusch zu Musik, die Variationen der Stille, der Klang der Sprecherstimmen, die Verwischung der Genres zwischen Dokumentar- und Spielfilm sind nur scheinbar Randphänomene. Tatsächlich erschaffen sie erst das Filmkunstwerk. In Kapitel IV werden unkonventionelle Praktiken des Filmtons beobachtet: Akustik des Alltagshorros, das Rauschen der Medien, elektroakustische Simulationen. Einige Regisseure, wie etwa Jacques Tati waren ihrer Zeit weit voraus oder setzen Trends wie David Lynch. Ihnen gelang sogar, die Geräusche als Protagonisten auftreten zu lassen. |
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